Interview mit Ann Telnaes und Liza Donnelly
Die Petarde traf die beiden amerikanischen Cartoonistinnen Ann Telnaes und Liza Donnelly anlässlich der Ausstellung «Chronique d'une Amérique au féminin» im Maison du Dessin de Presse in Morges.
Ann Telnaes wurde weltweit bekannt, als sie Ihre Stelle bei der Washington Post kündigte. Grund dafür war, dass sich die Redaktion weigerte, einen Trump-kritischen Cartoon abzudrucken.
Liza Donnelly ist eine US-amerikanische Karikaturistin und Autorin, die vor allem durch ihre Arbeit für The New Yorker und als Karikaturistin für CBS News bekannt ist.
Lassen Sie uns über Pressefreiheit sprechen und darüber, in welche Richtung sich Cartoonzeichnen entwickeln wird. Aber zunächst einmal: Herzlichen Glückwunsch zum erneuten Gewinn des Pulitzer-Preises!
Telnaes: Herzlichen Dank!
Ich gratuliere Ihnen auch zu Ihrer Kündigung bei der Washington Post. Wie geht es Ihnen?
Telnaes: Gut. Mir geht es sehr gut! Es war ein interessantes Jahr - mit Überraschungen wie dem Pulitzer-Preis sowie dem nicht veröffentlichten Cartoon. Als ich mich entschieden hatte zu kündigen, ging alles sehr schnell. Und ich bereue meine Entscheidung keineswegs!
Haben Sie seitdem neue Zeitungen gefunden, in denen Sie veröffentlichen können?
Telnaes: Nein, ich publiziere in meinem Substack-Newsletter. Er stellt eine gute Alternative zu traditionellen Medien dar, da er eine direkte Verbindung zu meinen Leserinnen und Lesern herstellt. Diese abonnieren ihn und bezahlen für die Inhalte. Liza begann vor zwei, drei Jahren und wir haben festgestellt, dass es gut funktioniert. Den Newsletter kann man in bezahlpflichtig wie auch kostenlos anbieten. Nach meiner Kündigung bei der Washington Post wurde mir geraten, die Zahlungsmöglichkeiten für Abonnements zu aktivieren – und so bin ich gestartet!
Donnelly: Übrigens haben nicht nur Cartoonistinnen, sondern auch Journalisten wie Jim Acosta und Joy Reid CNN und MSNBC verlassen.
Telnaes: Und nicht zu vergessen: Jennifer Rubin von der Washington Post!
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«Substack stellt für Cartoonistinnen und Cartoonisten eine gute Alternative zu den traditionellen Medien dar»
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Liza Donnelly, arbeiten Sie noch für den New Yorker?
Donnelly: Ja.
Sind Sie noch frei im Kopf – kein Bezos oder andere Verleger in der Nähe, die Probleme machen?
Donnelly: Nein
Wie viele Bezos gibt es in den anderen us-amerikanischen Zeitungen? Wird Druck auf die Zeitungen ausgeübt, seit Trump Präsident ist?
Telnaes und Donnelly: Eine Menge!
Telnaes: Die Skizze der knienden Techmilliardäre war der Grund, weshalb ich gegangen bin. Die Washington Post wollte sie nicht veröffentlichen.
Ich möchte hier auch noch den Herausgeber der LA Times erwähnen, der die Unterstützung für die Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris verhindert hat. Deshalb kündigte die Chefredakteurin Terry Tang im Oktober 2024.
Mark Zuckerberg, Eigentümer von Facebook, hat grossen Einfluss auf die Nachrichten, obwohl er kein Zeitungsbesitzer ist. Bereits vor seiner Wahl zum Präsidenten wurde Donald Trump von vielen Tech-Milliardären finanziell unterstützt, und nach seinem Sieg feierten sie in Trumps Anwesen Mar-a-Lago. Bezos gratulierte öffentlich auf X – dieses Verhalten finde ich unangebracht! Hier geht es um den Einfluss mächtiger Personen in den Medien.
Donnelly: Die Geschichte reicht noch weiter zurück. Die New York Times veröffentlichte einen Cartoon von António Antunes, der von vielen als antisemitisch bezeichnet wurde. Ich kenne António persönlich und bin keine Jüdin, aber ich halte die Illustration nicht für antisemitisch, sonder für antiisraelisch. Dennoch war die Times dermassen erschrocken, dass sie beschlossen, künftig keine Cartoons mehr zu veröffentlichen.
Die New York Times war vor diesem Ereignis nicht als Medium für Cartoons bekannt. Aber trotzdem ist es ein schlechtes Zeichen, wenn die ganz grossen Zeitungen keine Cartoons mehr abdrucken. Regt sich in den USA Widerstand dagegen?
Telnaes: Sie meinen wegen Trump? Meiner Meinung nach hat die Presse während Trumps erster Amtszeit keine gute Arbeit geleistet. Anfangs behandelten die Medien ihn eher als eine Art Unterhaltung und widmeten ihm viel zu viel Aufmerksamkeit. Erst als die Öffentlichkeit erkannte, welche Gefahr Trump darstellte, änderte sich das Verhalten der Medienleute etwas.
Donald Trump hat sich gegenüber der Presse verändert: Anfangs war er vor allem wütend und beschwerte sich darüber, dass sie ihn in einem schlechten Licht darstellten. Das zeigt, dass er das Prinzip einer freien Presse nicht wirklich versteht.
Seit er wieder im Amt ist und dazugelernt hat, versucht er, die Medien zu kontrollieren oder sogar loszuwerden. So schloss er die Associated Press von den Pressekonferenzen im Weissen Haus aus, woraufhin diese protestierten. Ich habe den Eindruck, dass die Medien langsam erkennen, welche Gefahr von diesem Präsidenten ausgeht. Aber wir werden sehen.
Donnelly: Die Wortwahl der New York Times hat sich verändert: inzwischen sind die Formulierungen weniger beschwichtigend und insgesamt wirkt es weniger so, als sei das alles normal. Ich habe den Eindruck, dass die Schlagzeilen jetzt deutlicher formuliert sind als früher.
Hier in der Schweiz schrumpfen die Medienunternehmen, wodurch die Arbeitsmöglichkeiten für Cartoonistinnen und Cartoonisten weniger werden. Es bleiben nur noch wenige grosse Medienhäuser wie beispielsweise Tamedia übrig, das viele kleinere Zeitungen aufgekauft hat und heute vor allem auf den eigenen Profit ausgerichtet ist. Wie sieht es mit den Jobs in den Staaten aus?
Telnaes: In den USA wurden bei McClatchy Anfang letzten Jahres drei Pulitzer-Preisträger an einem Tag entlassen. Obwohl die drei für verschiedene Zeitungen gezeichnet hatten, gehörten alle zum McClatchy-Medienkonzern. Als Grund wurden die Kosten genannt.
Donnelly: Ich erinnere mich an Jack Ohman – die anderen waren Joel Pett für die Lexington sowie Kevin Siers. Leider sorgt das in der Öffentlichkeit kaum für Empörung. Unter den Zeichnenden schon, aber darüber hinaus regen sich nur wenige auf.
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«Als Cartoonistin Geld zu verdienen, war schon immer ein Problem!»
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Manchmal habe ich das Gefühl, das wir die letzten Saurier im Bereich Cartoon sind. Wie steht es mit den jungen Zeichnerinnen und Zeichner?
Telnaes: Gute Frage! Für den Cartoon-Nachwuchs ist es schwierig, wie Liza und ich bereits festgestellt haben.
Der klassische Ein-Panel-Cartoon wird immer seltener verwendet, da sich jüngere Kunstschaffende offensichtlich lieber in längeren Formaten wie beispielsweise Graphic Novels ausdrücken. In einem College-Unterricht waren alle Studierenden begeistert von Cartoons und es ergaben sich viele Diskussionen. Bei unserem Abschlussprojekt wählten sie alle jedoch kein Einzelpanel, sondern verwendeten mehrere Panels auf einer Seite. Ich finde das nicht schlimm, es ist einfach eine andere Form. Vielleicht identifizieren sich junge Zeichnerinnen und Zeichner nicht mehr so stark als redaktionelle Cartoonistinnen wie wir.
Es ist schwierig, von Print- auf Online-Karikaturen umzusteigen, weil die Verleger für Online-Cartoons nicht zahlen wollen. Wie lässt sich online Geld mit Cartoons zu verdienen?
Donnelly: Substack funktioniert! Der New Yorker veröffentlicht täglich einen Cartoon in seiner Online-Ausgabe. Manchmal haben sie politische Inhalte, aber die Bezahlung ist trotzdem viel geringer als bei der gedruckten Zeitung.
Glauben Sie, dass die redaktionellen Cartoons verschwinden werden?
Telnaes: Ich glaube nicht, dass Cartoons verschwinden werden. Sie werden höchstens ihr Aussehen verändern. Solche Diskussionen gab es schon früher, als Editorial-Cartoonistinnen und Cartoonisten begannen, mehrere Panels auf einer Seite zu zeichnen: Ist das noch ein echter Cartoon? Natürlich ist es das, solange ein eigener Standpunkt ersichtlich ist. Für mich ist es völlig egal, ob daraus eine dreidimensionale Skulptur wird – es bleibt ein Cartoon!
Die grösste Herausforderung dabei ist, mit Cartoonzeichnen den Lebensunterhalt zu verdienen. Substack kann dabei helfen. Es gibt einige, die finanziell gut mit dieser Form des Publishings zurechtkommen.
Problematisch wird es dann, wenn die etablierten Medien anfangen, nicht nur redaktionelle Beiträge, sondern den Journalismus insgesamt zu kontrollieren – was gedruckt wird und was nicht. Weil ihnen ihre finanziellen Interessen wichtiger sind als die Unabhängigkeit ihrer Nachrichten.
Aber: Als Cartoonistin oder Cartoonist Geld zu verdienen, war schon immer ein Problem.
Das stimmt. Was also können wir tun, um unseren Stand zu stärken? Denn wenn man mit jungen Leuten über Editorial Cartoons spricht, sagen diese: «Klar, mein Opa mag das!»
Telnaes: Dann muss man ihnen zeigen, was das Zeichnen von Editorial Cartoons bedeutet. Es ist die Darstellung eines Standpunkts. Wenn die Jungen dabei aktivistisch sein wollen, finde ich das in Ordnung.
Donnelly: Einige Medien, wie beispielsweise The Atlanta Journal-Constitution, bezahlen ordentlich für ihre Cartoons. Mike Luckovich verdient wahrscheinlich ganz gut, da die Zeitung ihn unterstützt.
Telnaes: Wahrscheinlich hat Luckovich aber auch Leute, die sich für ihn einsetzen. Und er ist auch schon sehr lange bei dieser Zeitung.
Donnelly: Wir reden hier von schätzungsweise einer Handvoll solcher Leute in den USA. Und wenigen Unternehmen wie der Washington Post – die ihren zeichnenden Angestellten ein Gehalt, eine Pension und eine Gesundheitsversorgung bezahlen.
Werden Sie wegen Ihrer Cartoons inzwischen stärker angefeindet?
Donnelly: Ich nicht, denn mein Publikum steht hinter mir. Aber vor Trumps Wahl hatte ein Mann meinen Substack-Newsletter abonniert. Er ist mir aufgefallen, denn nur diejenigen, die für ihr Abonnement bezahlen, können kommentieren. Dadurch werden viele negative Kommentare herausgefiltert. Trotzdem beschimpfte er mich ständig, behauptete, ich liege falsch und sei dumm. Als seine Kommentare persönlich wurden, sagte ich ihm barsch: «Sie können mich doch abbestellen!» Ich blockierte ihn ein paar Mal, wollte aber trotzdem einen Dialog ermöglichen und nicht alle Kommentare löschen. Nach Trumps Wahl war er dann weg.
Telnaes: Cartoonistinnen und Cartoonisten sind schon immer auf Widerstand gestossen und es gab immer Beschwerden bei den Zeitungen. Signe Wilkinson, die erste Cartoonistin mit einem Pulitzer-Preis, berichtete sogar von Protesten vor ihrem Haus!
Die sozialen Medien haben dieses Verhalten verstärkt: Online erhalte ich inzwischen viele frauenfeindliche Kommentare, die es vorher so nicht gab. Für die Menschen ist es mittlerweile einfacher geworden, ihre Meinung zu sagen.
In den sozialen Medien entstehen oft Blasen, in denen Leute dieselben Inhalte wiederholen. Grundsätzlich schätze ich den Dialog und wenn mir jemand schreibt, dass er meine Meinung nicht teilt, kann ich mit dieser Person ins Gespräch kommen. Aber wenn dieser Dialog fehlt -
Telnaes: Das habe ich auch bemerkt. Früher argumentierten Menschen mit anderer Meinung meist konstruktiv und höflich. Doch die sozialen Medien haben das offenbar verändert.
Donnelly: Trump und die sozialen Medien haben den Ton verschlimmert. Er gibt den Leuten die Erlaubnis, böse, wirklich gemein und grausam zu sein.
Veröffentlichen Sie Ihre Cartoons eigentlich auf Truth Social oder X (früher Twitter)?
Donnelly: Ich besitze noch einen Account auf X, habe aber mittlerweile aufgehört zu twittern
(Liza Donelly findet man mittlerweile auf Bluesky)
Telnaes: X empfinde ich nunmehr als wertlos. Früher habe ich es geschätzt, Einblicke von anderen Leuten zu bekommen.
Donnelly: Es tummeln sich immer noch ein paar Journalistinnen und Journalisten auf dieser Plattform.
Gibt es in den Staaten auch Cartoons, die pro Trump sind?
Telnaes: Die gibt es, aber ich kann mich gerade an keine entsprechenden Namen erinnern.
Donnelly: Wie wäre es mit Michael Ramirez?
Telnaes: Er ist zwar konservativ, aber nicht unbedingt pro Trump. Es gibt da noch einen anderen Zeichner, der irgendwo auf dem Land lebt. Er kann nicht zeichnen, aber er postet ständig pro Trump.
Wie gehen Sie damit um? Haben Sie Kontakt zu diesen Cartoonisten?
Telnaes: Ramirez habe ich schon mal gesehen und wir kommen gut miteinander aus. Er ist ein netter Kerl, aber ich bin einfach nicht mit allem einverstanden, was er sagt.
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«Cartoons basieren auf deinen menschlichen Erfahrungen, deiner Seele. Es geht dabei um mehr als nur um das Setzen von Schlüsselwörtern und Prompts.»
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Haben Sie Angst, Ihren Job an KI zu verlieren?
Telnaes: Nun ja, Kunst zu erschaffen erfordert Arbeit und Lernen von Anfang an. Wer eine KI nutzt, erhält sofort ein Ergebnis – aber für mich ist das Diebstahl! Viele KI-generierte Werke sind einfach glatt, ohne echten künstlerischen Ausdruck. Als Lehrerin würde ich den Einsatz von KI bei kreativen Arbeiten eines Kindes nicht erlauben, weil man ihm damit meiner Meinung nach keinen Gefallen tut.
Donnelly: Persönlich glaube ich nicht, dass man mit KI Humor erzeugen kann. Ihre Erfahrungen mit den KI-Cartoons, die nicht funktionieren, sind zwar interessant - aber Humor und eine klare Haltung lassen sich mit Hilfe künstlicher Intelligenz kaum umsetzen.
Das ist meine grösste Hoffnung!
Telnaes: Cartoons basieren auf deinen menschlichen Erfahrungen, deiner Seele. Es geht dabei um mehr als nur um das Setzen von Schlüsselwörtern und Prompts.
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«Schaffen Sie sich eigene Chancen und lernen Sie zu zeichnen»
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Haben Sie einen Ratschlag für junge Menschen, die gerne Cartoons zeichnen und davon leben wollen?
Telnaes: Ich kann nur für die USA sprechen. Liza ist ein gutes Beispiel, weil sie sich immer angepasst und neue Möglichkeiten für sich gefunden hat. Bleiben Sie flexibel, wenn Sie Ihre Kunst und Ihren Standpunkt zeigen. Sagen Sie nicht: «Ich will nur für den New Yorker arbeiten oder nur für die Washington Post» und sind dann enttäuscht, wenn es nicht klappt. Schaffen Sie sich eigene Chancen!
Heute haben wir viele neue Hilfsmittel: Als Liza und ich mit Cartoonzeichnen anfingen, gab es weder eigene Websites noch Substack-Newsletter. Inzwischen ist Kommunikation sehr viel einfacher geworden.
Nun, Sie wissen jetzt, wie man Geld verdient. Also fangen Sie an und legen Sie los! Und: Lernen Sie zu zeichnen!
Donnelly: Nutzen Sie Ihren Verstand und Ihre Meinung. Verwenden Sie Werkzeuge wie beispielsweise iPad oder Video, denn beim Erstellen von Cartoons geht es für mich vor allem um Dialog und Kommunikation. Es gibt viele Wege, das umzusetzen.
Wir danken Ihnen vielmals für das Gespräch!
Das Interview fand am 9. Mai 2025 in Morges anlässlich der Ausstellung statt und wurde für die Petarde von Tom Künzli und Silvan Wegmann durchgeführt. Die Ausstellung dauert noch bis zum 1. Juni 2025.
«Als Cartoonistin Geld zu verdienen war schon immer ein Problem»
Die Petarde im Gespräch mit den beiden amerikanischen Cartoonistinnen Ann Telnaes und Liza Donnelly über Pressefreiheit, neue Möglichkeiten und die Zukunft des Cartoonzeichnens.
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